Widerspruchslösung zur Organspende – Wenn Schweigen zur Erklärung wird

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Die fehlende Anzahl an Spenderorganen in Deutschland stellt zweifelsohne in medizinischer Hinsicht, vor allem aber auch für das Schicksal der Betroffenen, die auf ein Spenderorgan warten, eine Misere dar. 

Dem soll durch ein Gesetzesvorhaben Abhilfe geschaffen werden, welches kurz als „Widerspruchslösung“ bezeichnet wird und zuletzt 2020 im deutschen Bundestag diskutiert wurde, jedoch keine Zustimmung fand. Nun, 2024, so berichtete u.a. die Tagesschau am 01.06.2024, soll auf Antrag erneut über die Widerspruchslösung entschieden werden. Dabei sieht das Gesetzesvorhaben vor, dass Organe nach dem Tod eines Menschen in Deutschland zur Spende freigegeben sind, sofern der Verstorbene nicht zu Lebzeiten einer Organspende widersprochen hat. 

Damit weicht jedoch die sogenannte Widerspruchslösung von dem Grundsatz im deutschen Recht ab, wonach Schweigen keine Erklärung darstellt. Dieser Grundsatz findet sich bereits in der juristischen Definition einer Willenserklärung wider. Eine Willenserklärung ist demnach eine Willensäußerung im  Rechtsverkehr, die auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Sie setzt sich aus einem subjektiven und einem objektiven Tatbestand zusammen. Zum einen aus dem (inneren) Willen und zum anderen aus der nach außen erkennbaren Äußerung dieses Willens.

Grundsätzlich gilt daher im deutschen Recht, dass Schweigen keine Willenserklärung darstellt, da es gerade an einer Willensäußerung fehlt. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn vertraglich ausdrücklich etwas anderes vereinbart wurde, oder aber von Gesetzes wegen von diesem Grundsatz abgewichen wird. Dies ist beispielsweise bei der Schenkung gem. § 516 Abs. 2 S. 2 BGB der Fall. Fraglich ist jedoch, ob sich bei einem derart erheblichen Eingriff in die körperliche Integrität, der Entscheidung über eine Organspende, eine gesetzliche Regelung, die quasi das Vorliegen einer Willenserklärung zur Einwilligung in die Organspende fingiert, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, sowie mit der Handlungsfreiheit des Einzelnen nach Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist. Ferner stellt sich auch die Frage, wie die sog. Widerspruchslösung mit der grundgesetzlich gewährleisteten Menschenwürde i.S.d. Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar sein soll, wonach der einzelne Mensch nicht zum Objekt staatlichen Handelns gemacht werden darf. Wenn jedoch der Gesetzgeber – wie mit der Widerspruchslösung beabsichtigt – vorgibt, dass jeder solange als Organspender anzusehen ist, wie er nicht der Organspende widersprochen hat, weicht der Gesetzgeber nicht nur von den einfachgesetzlichen Grundsätzen hinsichtlich des Schweigens ab, sondern greift, womöglich unter unzulässiger Abwägung menschlicher Leben, in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen ein, darüber zu entscheiden, wie mit seinem Körper post mortem umgegangen werden soll. Wenig hilfreich dürfte sowohl dem Einzelnen, aber auch den Angehörigen die Funktion der sog. doppelten Widerspruchlösung vorkommen. Hat der Verstorbene zu Lebzeiten keinen Widerspruch erklärt, kein Organspender sein zu wollen, so liegt es an den Angehörigen nun über die Organspende zu entscheiden und dieser ggf. aktiv zu widersprechen.

Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass die Widerspruchslösung nicht das Vertrauen in die Organspende stärken dürfte, sondern vielmehr schwächen könnte. Für viele Patienten stellt es, wie ich aus meiner eigenen Berufstätigkeit im Gesundheitswesen zu berichten weiß, eine Horrorvorstellung dar, sie könnten als Organspender im Falle einer lebensbedrohlichen Verletzung nur deshalb nicht lebensrettend behandelt werden, um sodann an etwaig benötigte Transplantate zu kommen. Die Einführung einer Widerspruchslösung, wird solche Horrorszenarien aber gerade nicht beseitigen, sondern birgt vielmehr die Gefahr, dass der Umstand, zunächst per se als Organspender zu gelten, die patientenseits gefühlte Intransparenz der Organspende zu verstärken. Nicht zu wissen, was nach dem Tod passiert, verbunden mit der Gewissheit bei nicht rechtzeitigem Widerspruch Organspender zu sein.

Sinnvoller wäre es daher, die Spenderbereitschaft nicht auf Grundlage eines Gesetzes stärken zu wollen, das sich die Untätigkeit mancher Menschen zur Nutze macht, nicht aktiv einer Organspende zu widersprechen, sondern durch medizinische Aufklärung dazu beizutragen, die Angst vor einer Organspende zu nehmen, indem schlicht und verständlich über das Vorgehen vor, bei und nach einer Organspende informiert wird, sodass mehr Menschen zu Lebzeiten eine Willenserklärung abgeben, Organspender sein zu wollen.

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